Besprechungen

"Welchen Lobpreis mögen die Macher des Poetenfestes am liebsten vernommen haben? Vielleicht den des Schriftstellers Robert Menasse, der zu Protokoll gibt, die Erlanger Zusammenkunft von Autoren und Lesern für dermaßen beglückend zu halten, dass er kurzerhand beschlossen habe, sich für die Dauer seiner Anwesenheit in Erlangen 'keine Sekunde Depression zu gönnen'. Mag sein, dass genau dies das Geheimnis des Poetenfestes ist: Zeitweilig nicht depressive Autoren treffen andere nicht depressive Autoren – und sorgen in ihrer gemeinsamen Hochstimmung für gänzlich nicht depressive Leser. Vergleichbar wäre das von Menasse überlieferte Gemeinschaftsgefühl womöglich nur mit Gefühlen beglückter Kirchentagsbesucher: Endlich nicht mehr allein, endlich eine große Glaubens-Familie – nur eben vereint durch Literatur von Zeitgenossen. Der Hörfunk-Journalist Dirk Kruse hat für die CD 'Picknick mit Poeten' weitere Belege des großen Erlanger Literaten- und Kritiker-Glücks gesammelt. Sigrid Löffler etwas, die freimütig gesteht, in Erlangen etwas ganz und gar 'Unvergleichliches' vorzufinden. Kruse hat gleichwohl nicht nur Lobpreis versammelt. Er unternimmt den Versuch, auf einem exemplarischen Streifzug über vier Tage Festival einen Überblick zu verschaffen, der dem Erlangen-Flaneur notwendigerweise verwehrt bleiben muss – denn auf dem Fest lesen die Poeten meist simultan an verschiedenen Orten. Die literarischen Short Cuts geben nun erstmals einen Eindruck davon, wie mannigfaltig dieses Erlanger Festival wirklich ist. Zu hören ist, wie vierzig Literaten im Sommer 2005 lesen, performen, sich in die Haare kriegen, einander umschmeicheln. Bei den zur Verfügung stehenden 75 Minuten bieten die Ausschnitte zwar immer nur einen bescheidenen Eindruck, allenfalls einen Ausschnitt von jeweils vier Minuten. Es bleibt aber das Staunen über die riesige Erlanger Fülle. So stritten beim Jubiläum 2005 Renate Schmidt und Birgit Vanderbeke über das Kinderkriegen – unter dem Motto 'Denkt ihr wirklich so viel nach, bevor ihr's tut?'. Autor Christoph Hein gab preis, das Hemd seiner Geliebten sie ihm allemal wichtiger als der Mantel der Geschichte. Und Alexa Henning von Lange gab Entwarnung für den Fall, dass sie angesichts des fabelhaften Erlanger Publikums gleich in Ohnmacht falle – 'ich stehe dann auch wieder auf', erklärte die um Atem ringende Autorin."

Olaf Przybilla, Süddeutsche Zeitung, 23.08.06

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